Stilo Bertone: Eine kurze Geschichte
22.08.2003
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Der Ferrari 250 GTO von 1961 ist längst ein Klassiker |
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Bertone schaut auf eine über neunzigjährige Geschichte zurück. 1912 gründete der 28jährige Giovanni Bertone einen Betrieb zum Bau und zur Reparatur von Kutschen. Autos waren selten in jenen Tagen und der Strassenverkehr bestand hauptsächlich aus Pferdewagen. Die Aufbauten, die Bertone lieferte bestachen durch Eleganz und handwerklich perfekte Ausführung und waren gefragt. 1914 wurde Giuseppe als zweiter Sohn geboren und erhielt den Kosenamen "Nuccio": Dieser wurde der Name, der später für bestes italienisches Autodesign stehen sollte.
Nach dem Ersten Weltkrieg, der auch Bertones Aktivitäten beeinträchtigt hatte, stabilisierte sich die industrielle Entwicklung in Italien ab 1920. Die Firma benötigte grössere Räumlichkeiten und zog um in die Via Monginevro 119. Im folgenden Jahr 1921 vollzog sich eine wichtige historische Weichenstellung: Das erste Bertone Fahrzeug, ein Torpedo auf der Basis des SPA 23S, wurde gebaut, der Auftakt der Autoproduktion. Es folgte der Fiat 501 Sport Siluro Corsa als erstes Beispiel für die Fahrzeuge, die Bertone später berühmt machen sollten: Hochleistungssportwagen.
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SPA 23 S (1921)
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Fiat 501 Sport Siluro Corsa (1921)
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Lancia Kappa (1921)
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In den zwanziger und dreissiger Jahren arbeitete Bertone für fast alle damaligen italienischen Hersteller, besonders aber für Fiat und Lancia. Neben Sportwagen wie dem Ansaldo 6BS von 1928 gestaltete Giovanni Bertone auch Luxuslimousinen wie den Fiat 505 und den Itala 51S von 1924. 1928 folgte die Lancia-Baureihe Lambda VIII und 1932 der Lancia Artena. Im folgenden Jahr trat Nuccio in die Firma ein, die ihr Spektrum mittlerweile auch auf Lastwagen ausgedehnt hatte. Das Geschäft wuchs, man beschäftigte mittlerweile 50 Angestellte, erneut wurde ein Umzug notwendig. Die neue Adresse lautete nun Turin, Corso Peschiera 225.
Am Ende der dreissiger Jahre befand sich Europa wieder im Krieg und Bertone war gezwungen, die Produktion anzupassen. Man fertigte nun unterschiedliche Militärfahrzeuge, unter anderm einen Krankenwagen auf der mechanischen Basis des SPA 38. Aber trotz aller Schwierigkeiten entstanden auch neue Personenkraftwagen. Ein luxuriöser Lancia Aprilia wurde vorgestellt und auch ein Fiat 2800 Cabrio mit kurzem Radstand wurde für den Rennfahrer und Journalisten Giovanni Lurani Cernuschi gebaut.
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Stanguellini 1100 (1948)
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Fiat 500 Barchetta (1947)
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Fiat 1100 berlinetta Stanguellini
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Nach dem Krieg erholte sich die europäische Industrie nur langsam, aber Ende der vierziger Jahre zog die Wirtschaft wieder an und damit gab es auch wieder Geld und Interesse an massgeschneiderten Karosserien. Auf Lancia-Basis entstand ein Aprilia Cabrio und der neue Stanguellini-Rennwagen auf Fiat 1100-Basis gab einige der Designmerkmale vor, die im folgenden Jahrzehnt populär werden sollten. Die letzten Jahre der Dekade sahen Nuccio Bertone als Rennfahrer auf einer selbstentwickelten Barchetta auf Topolino-Basis, mit der er die italienische Meisterschaft gewann, und in Zusammenarbeit mit Vittorio Stanguellini entwickelte man ein Coupé, ebenfalls auf dem Fiat 1100 Chassis, das ein grosser Erfolg werden sollte.
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Arnolt-Bristol (1953)
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Alfa Romeo BAT 5, BAT 7, BAT 9 (1955)
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Abarth Record (1956)
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1952 aquirierten die Turiner mit dem Arnolt-Bristol den ersten Auftrag aussserhalb Italiens. Im folgenden Jahr entwickelte Bertone den Alfa Romeo Giulietta Sprint, der 1954 auf dem Turiner Salon vorgestellt wurde. Ursprünglich in einer 500er Auflage geplant wurden in zwölf Jahren 40.000 Exemplare gefertigt. In die gleiche Zeit fiel auch die spektakulärste Zusammenarbeit zwischen Alfa Romeo und den Turiner Designern. Die avngardistisch geformten Berlinetta Aerodinamica Tecnica verschoben die Grenzen der Automobilgestaltung und der Aerodynamik: BAT 5 (1953), BAT 7 (1954) und BAT 9 (1955) waren die automobile Sensation der fünfziger Jahre. Die aerodynamischen Experimente dieser Zeit fanden ihren Höhepunkt 1956 im Abarth 750 Record. Gebaut auf dem Chassis des Fiat 600 erzielte dieses Stromlinienfahrzeug auf dem Oval von Monza zehn Weltrekorde. Unter anderem wurden 4000 km mit einer Durschnittsgeschwindigkeit von 156,36 km/h gefahren und man erreichte eine Gesamtdistanz von 10.125,56 km in 72 Stunden.
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NSU Sport Prinz (1957)
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Maserati 3500 GT (1959)
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Aston Martin DB/4 Jet (1961)
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Im Jahr 1958 nahm man die Produktion des NSU Sport Prinz auf, was wiederum einen Umzug nach sich zog. Mit nun 550 Mitarbeitern verliess man Turin und bezog neue Werkhallen in Grugliasco.
Dort entstanden Ende der Fünfziger eine Reihe von Sportwagen, wie die Giulietta SS (Sprint Speciale), Aston Martin DB 2/4 und Maserati 3500 GT, die endgültig den Namen Bertone in die Welt trugen. Es folgte mit den Sechzigern die Dekade, die man wohl die "italienische" nennen kann. In diesen Jahren schufen die Couturiers auf dem Stiefel das, was man heute noch als "den" italienischen GT sieht. Bertones Beitrag bestand aus dem Alfa Romeo 2600 Sprint als Coupé und Cabrio, zwei Ferrari 250 GT (eines davon der "Wax", nach dem Namen seines Auftraggebers), dem Aston Martin DB4 GT "Jet" und dem Maserati 5000 GT. Aber auch in der Produktion war man nicht untätig. Vom BMW 3200 CS wurde eine kleine Serie aufgelegt und das Simca 1000 Coupé ging in Fertigung. Erwähnung finden sollte aber auch der ASA 1000, auch bekannt als "Ferrarina" (das Projekt ging ursprünglich auf Enzo Ferrari zurück), der trotz aller positiven Publikumsresonanz niemals den Weg auf den Markt fand.
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Corvair Testudo (1963)
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Alfa Romeo Giulia GT (1963)
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Alfa Romeo Cangaru (1964)
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Weitere wichtige Meilensteine der Sechziger waren Iso Rivolta GT 300 und 340 sowie der Iso Grifo, von dem auch eine Cabrioversion und eine Rennwagenstudie, bekannt unter dem Kürzel A3C, entstand. Auf der Basis des Chevrolet Corvair entstand der Testudo, den Nuccio Bertone 1963 auf der Achse zum Genfer Autosalon brachte. Es folgte 1964 der Alfa Romeo Canguro, danach der Alfa Romeo Giulia GT als Nachfolger für den Giulietta Sprint.
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Fiat 850 Spider (1965)
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Lamborghini Miura (1966)
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Lamborghini Marzal (1967)
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1965 gelang dann der endgültige Aufstieg in die Liga der Automobilproduzenten: Der Erfolg des Fiat 850 Spider überzeugte Nuccio Bertone, die Kapazitäten für die tägliche Produktion auf 120 Fahrzeuge zu erhöhen. Insgesamt wurden von diesem Typ bis 1972 140.000 Exemplare gebaut, von denen die meisten auf dem US-Markt abgesetzt wurden. Künstlerischer Höhepunkt des Jahrzehnts war aber sicher die Partnerschaft mit Ferruccio Lamborghini: 1966 wurde in Genf der sensationelle Lamborghini Miura vorgestellt, der mit seinem quer eingebauten V12-Mittelmotor eine völlig neue Definition eines Hochleistungs-GT lieferte. Auf den Miura folgte 1967 die spektakuläre Studie Marzal mit einem Mittelmotor-V6 sowie, im folgenden Jahr, der Espada. Weiter zu nennen wären noch Alfa Romeo Montreal und Fiat Dino Coupé, beide aus dem Jahr 1967.
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Alfa Romeo Carabo (1968)
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Lancia Stratos 0 (1970)
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Fiat X 1/9 (1972)
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Um eine neue grafische Syntax zu finden und neue Wege für die Zukunft des Automobils zu finden stellte man 1968 auf der Basis des Alfa Romeo 33 den Carabo auf die Räder, der seine Premiere auf der Mondial de l'Automobile des gleichen Jahres feierte.
Anfang der Siebziger Jahre war die Mitarbeiterzahl auf 1.500 angewachsen und die Zusammenarbeit mit Lamborghini fand in den Typen Jarama und Urraco ihre Fortsetzung.
Auf dem Turiner Salon zeigte man dann erneut ein Fahrzeug, das in völlig neuer Weise Architektur, Skulptur und Dynamik zusammenfügte: Unter Verwendung der Mechanik des Lancia 1.6 HF entstand der Stratos 0, der alle Traditionen hinter sich ließ. Im folgenden Jahr wurde dann, als Basis für ein Rallyefahrzeug, der Stratos Stradale entwickelt. Für die FIA-Homologation wurde eine kleine Serie straßentauglicher Fahrzeuge mit Ferrari V6-Mittelmotor aufgelegt. Die daraus abgeleitete Wettbewerbsversion beherrschte die Weltmeisterschaft jahrelang.
Weitere erfolgreiche Kreationen dieser Zeit waren der Runabout, der Maserati Khamsin sowie der Fiat X1/9 (alle 1972), der mit 160.000 produzierten Einheiten (bis 1988) ein grosser wirtschaftlicher Erfolg war. Lamborghini Countach und Ferrari Dino 308 GT4 aus dem Jahr 1973, Audi 50 und Innocenti Mini 90 von 1974, der Fiat 131 Abarth 1975 und der Alfa Romeo Navajo aus dem Jahr 1976 zeigen die Vielseitigkeit und Kreativität der Norditaliener.
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Volvo 780 Coupé (1985)
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Bertone Blitz (1992)
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Z.E.R. (1994)
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Im selben Jahr begann auch die Zusammenarbeit mit Volvo, für die man die Studie 264 TE auf die Räder stellte. In Genf war 1977 dann das Coupé 262 C zu sehen, das Bertone komplett auf die Räder stellte. 1982 entstand der Citroën BX, 1985 wurde die Produktion des Volvo 780 gestartet und 1987 folgte der Vertrag mit General Motors Europe zur Produktion des Opel Kadett Cabrios. Ihren Abschluss fanden die Achtziger mit dem Design des Citroën XM und dem Produktionsbeginn des unter dem eigenen Namen angebotenen Freeclimber.
In den Neunzigern wandte man sich dann wieder stärker der Erforschung neuer Formen des Automobildesigns zu: Auf dem Turiner Salon 1992 wurde die Barchetta "Blitz" vorgestellt. In diesem Konzept verbanden sich ein Elektroantrieb mit einem Rohrrahmen aus Spezialstahl und Glasfaserverkleidungen, im Innenraum wurden Carbonfasern verwendet. Produziert wurden seit 1993 das Opel Astra Cabrio sowie das Fiat Punto Cabrio, gleichzeitig knüpfte man aber auch wieder an alte aerodynamische Experimente an. Inspiriert vom Abarth 750 Record entstand 1994 der ZER (Zero Emission Record). Ausgestattet mit einem Cw-Wert von 0,11 sowie einem Elektroantrieb erzielte dieses Fahrzeug einen neuen Stundenweltrekord für seine Kategorie mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 199,822 km/h. Die erzielte Höchstgeschwindigkeit betrug beachtliche 303,977 km/h.
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Bertone Karisma (1994)
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Lancia Kayak (1995)
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Bertone Pickster (1998)
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1994 folgte die Studie Karisma, ein Viersitzer mit Porsche-Technik, 1995 das Coupe Kayak auf Lancia K-Basis, der Slalom mit technischen Komponenten des Opel Calibra und der Enduro 4x4 auf der Bodengruppe des Fiat Brava.
Nuccio Bertone starb am 26. Februar 1997, am Vorabend des Genfer Automobilsalons. Mit ihm verliess einer der grossen Automobildesigner die Bühne. Sein Verdienst war, dass er seine Firma einerseits zum Automobilproduzenten gewandelt hat, aber gleichzeitig nie die Beziehung zu seinen Wurzeln, der Gestaltung schöner Automobile, verlor. So freut sich das Unternehmen bester Gesundheit, was es mit der Produktion von BMW C1 sowie Opel Astra Cabrio und Coupé unter Beweis stellt. Darüber hinaus arbeitet man mit GM und SKF intensiv an "Drive-by-Wire"-Konzepten, die mit den Studien Bertone Filo (2001) und Bertone Novanta (2002) ihre Form fanden.
Quelle: http://www.prova.de
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